Vorbei sind zwar die Zeiten als „ein Mädchen noch eine gute Hinrichtung zu schätzen wusste“ (vgl. Kevin Costners „Robin Hood. König der Diebe“), doch Sensationsgier, Spektakel und die Lust am Schaurigen prägen nach wie vor unsere Gesellschaft. Mit der Produktion „Am Galgen“ begibt sich das Grazer Performance-Kollektiv „Das Planetenparty Prinzip“ erneut auf historisches Gefilde und lädt bei der ehemaligen Hinrichtungsstätte am Wienerberg zum ebenso visuell überzeugenden wie akustisch ansprechenden Totentanz.
Bevor die Gliedmaßen allerdings ordentlich taktvoll ins Zucken geraten, heißt es für die Zuschauer*innen erst einmal im „Prozessionsmarsch“ zur Aufführungsstätte zu pilgern. Konnte „Am Galgen“ in der Steiermark im Galgenwald von Birkfeld im Rahmen jener Steinsäulen, die seit dem 17. Jahrhundert als Richtstätte fungierten, noch am Originalschauplatz mit historischen Überresten uraufgeführt werden, so muss man in der ehemaligen Waschküche des George-Washington-Hofs mit einem Holzmodell vorliebnehmen. Der Wirkung tut dies jedoch wenig Abbruch. Wie Marionetten agieren die Schauspielerinnen (und ein Schauspieler) an ein (Kletter-)Seil gehängt. Während die Performer*innen auf der Bühne heute selbst an ihren Strippen ziehen, waren die Verurteilten damals ihrem Scharfrichter ausgeliefert. Dem Brechen des Stabes über dem Kopf, daher der Verurteilung, war im Normalfall – bis zur Abschaffung der Folter durch Maria Theresia beziehungsweise durch ihren Sohn Joseph II. – ein ausgeklügeltes System an Mechanismen, die der Wahrheitsfindung dienten, vorausgegangen. „Mundbirne“, Streckbank, „Daumenschrauben“, um nur einige der im Stück aufgezählten Geräte zu nennen. Allesamt Folterwerkzeuge, mit denen auch so manch am Wienerberg Erhängte seine Bekanntschaft gemacht haben dürfte.
Volksfest Hinrichtung
Einige der Opfer, die im heutigen zehnten Bezirk ihr Ende – und auch, wie die während des Baus am George-Washington-Hof zu Tage geförderten Leichen in den 1920er-Jahren vor Augen führten, ihre Grabstelle fanden – sind uns noch heute bekannt. Zu jenen, die noch im 19. Jahrhundert durch die damalige Rechtsprechung zum Tode durch den Strick verurteilt wurden, zählt neben Teresa Kandl – der nicht nur ersten, sondern auch angeblich schönsten Frau von Wien, die am Galgen landete – auch Georg Ratkay, ein Tagelöhner, der die Frau eines Tischlers erschlagen hatte. Die Hinrichtung des Raubmörders bei der Spinnerin am Kreuz gilt als die letzte öffentliche in Österreich. Das Urteil, das in den Morgenstunden des 30. Mai 1868 vollstreckt wurde, verursachte einen Volksaufmarsch. Es gab „Galgenbier“ und „Arme-Sünder-Wurst“ sowie Gesang. Letzteres ein Brauch, der sich in den heute noch erhaltenen Moritaten spiegelt.
Gesungen wird auch in „Am Galgen“ und zwar eindrucksvoll. Gerne hätte man länger gelauscht. Zum Schluss zappelt ein Körper – die Hingerichteten blieben teilweise, je nach Straftat, über Wochen am Galgen zur Abschreckung hängen – bis der fiktive Vorhang fällt. In den Text, bestehend aus juristischen Akten, journalistischen Aufzeichnungen und Bänkelsang, wurden auch Schlagzeilen zu modernen Gewaltverbrechen eingewebt. Man merkt: wir sind (ganz abgesehen davon, dass noch heute in 18 Ländern die Todesstrafe vollstreckt wird) gar nicht so weit entfernt von jener Zeit, wie man vielleicht anfangs denkt.
Am Galgen
Eine Produktion des Planetenparty Prinzips
Mit Leonie Bramberger, Nora Köhler, Moritz Ostanek, Nora Winkler
Regie: Simon Windisch
https://planetenparty.at/portfolio/am-galgen-3/
Titelbild: © Clemens Nestroy
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